Der gebaute Eisberg von Stuttgart-Möhringen

Überraschende Weiten in den Innenräumen - Einblicke in den Neubau der Galerie ABTart nach Plänen von Nixdorf Consult

von Marc Nagel, Stuttgarter Nachrichten vom 17.12.2009

 

Was hat diese Straßenecke nicht schon alles gesehen in letzter Zeit? Ein altes Haus in von Abgasen verschmutztem Gelb, dasselbe Haus im wilden Graffiti-Kleid und noch einmal ganz in Schwarz, als Trauerflor für den nahenden Abriss. Und nun das: ein modernes und so gar nicht angepasstes Gebäude. An der Ecke Rembrandtstraße und Vaihinger Straße in Stuttgart-Möhringen ist die neue Galerie ABTart von Karin Abt-Straubinger entstanden – direkt neben dem alten Backsteinbau, der die Kunst- und Kulturstiftung Abt-Straubingers beherbergt. Schon während der Planungsphase war die Konzeption des Architekten Bernd Nixdorf und seines Teams vor Ort auf gehörigen Widerstand gestoßen. So musste viel gesprochen und diskutiert werden, bis der Bau genehmigt wurde – mit allen Ideen und inklusive Flachdach, viel Glas und Klinker.

 

Was entstanden ist, gehört einzeln betrachtet mit Sicherheit zu den besseren Beispielen der neueren Stuttgarter Architekturen. Der Bau sticht heraus. Man sieht zunächst einen klar strukturierten Körper, der nach zweiter Moderne und Funktionalismus aussieht. Betrachtet man das Haus genauer, sieht man, dass es im Grundriss der nördlichen Grundstückskante in einer Treppenlinie folgt und so die Bebauungsmöglichkeiten nutzt, die das schmale Grundstück zulässt. Hier ist es auch verschlossen, während es sich zur Straße hin, im Westen, deutlich öffnet. Dies wird erreicht, weil die sonst unspektakuläre Klinkerfassade in Anthrazit im Obergeschoss des Baukörpers mit zwei großen Kästen ergänzt wurde. Sie sind eingeschoben und sorgen mit großen Glasflächen und einer bronzenen Blechverkleidung für ein lebendiges Bild. Zudem öffnet sich an der nordwestlichen Gebäudekante, also mit Blick zur Straßenachse der Rembrandtstraße, der Grundkörper mit einer großen Übereck-Verglasung. Überhaupt reagiert das Gebäude von Nixdorf Consult sehr gut auf die Straßensituation und nimmt Bezug zu den beiden Achsen, der Vaihinger Straße und vor allem der Rembrandtstraße. Zudem wurden die Trauf- und Giebelhöhen der umliegenden Gebäude ebenso beachtet wie die Baulinie und die Fassaden der Umgebungsbebauung. Und auch die anthrazitfarbene Klinkerfassade antwortet auf zwei Gebäude in der Nachbarschaft.

 

Der schmale, fast schlauchförmige Verlauf des Grundstücks und die notwendigen, baurechtlich vorgeschriebenen Abstände zu den Nachbarn machten die Platzierung der Galerie auf dem Gelände sowie die Umsetzung des gewünschten Raumprogramms der Bauherrin zur Herausforderung. Es entstand eine Art architektonischer Eisberg, der an der Oberfläche sichtbar nur einen Teil seines verfügbaren Platzes offenbart und im Untergeschoss zusätzlichen Raum anbietet. Durch die Staffelung der nördlichen Wand verengt sich das Gebäude erst zum östlichen Grundstücksbereich hin und lässt so einen großzügigen Eingangsbereich entstehen. Zusätzlicher Effekt dabei: Durch die Verjüngung des Raums zum Außenbereich der Anlage entsteht ein stark perspektivischer Eindruck zum Außenbereich hin.

 

Statt eine Galerie zu entwerfen, die sich selbst genügt, sei es das Anliegen gewesen, der Kunst einen Rahmen zu schaffen, sagt Bernd Nixdorf von Nixdorf Consult. Unspektakulär treten die weißen Wände und der graue, lediglich versiegelte Estrichboden in den Hintergrund und lassen den ausgestellten Werken – aktuell zu sehen ist die Themenschau „(Z)art“, erarbeitet von dem belgischen Documenta-X-Lenker Jan Hoet – ihren Auftritt. Nicht nur ihn dürfte das Spiel mit dem natürlichen Licht interessieren. Sowohl über die Glasfassaden als auch durch ein geschickt gesetztes Oberlicht gelangt das Tageslicht in die Räume. Es bildet eine Fuge zwischen Treppenaufgang und Ausstellungsraum und erlaubt einen Blick vom Untergeschoss bis hinauf zum Himmel über dem Obergeschoss. Gerade hier oben spielt das natürliche Licht eine zusätzliche Rolle. Denn die großen Glasflächen der in den Hauptkörper eingestellten Kästen lassen viel Sonne in diesen Raum, der durch die zusätzliche Fläche der Kästen noch einmal gegenüber dem Erdgeschoss geweitet ist.

 

Die Besonderheit wartet im Untergeschoss. Ein großer und fast sakral wirkender Raum überrascht, der mit seiner Rundung am westlichen Raumende an eine Apsis erinnert. Auch wenn es sein kann, dass dieser Eindruck entsteht, weil Jan Hoet an diese Stelle eine Madonna-Figur von Alberto Garutti gestellt hat, kann man diesem Raum seine Wirkung nicht absprechen. Der Blick in Richtung Osten unterstützt diesen Eindruck ebenfalls – eine komplett verglaste Front gibt den Blick auf einen Tiefhof frei, der Platz für Skulpturen bietet und Teil der Außenanlage ist, die den neuen Galeriebau mit dem Backsteinhaus der Karin-Abt-Straubinger-Stiftung verbindet.