„Kunst soll einfach Freude machen“

„Wahnsinn", „eine spektakuläre Bereicherung für unsere Region", „ein Schmuckstück" - viele Komplimente erntet die frühere Telefonbuch-Verlegerin Karin Abt-Straubinger für ihren Galerie-Neubau in Möhringen. Noch vor der ersten Ausstellung sorgt sie für Aufsehen in der Kunstszene.

von Heidemarie A. Hechtel, Stuttgarter Nachrichten vom 30.09.2009

 

Ein Kunstwerk ist die Sammlerin und Galeristin bereits selbst. Die brandroten Haare züngeln wie kleine Flammen um den Kopf, dazu trägt sie, was sonst, Schwarz. Aber nicht einfach nur etwas Schwarzes, sondern Design, raffiniert, avantgardistisch und ein bisschen schräg. Mit der größten Selbstverständlichkeit. Gepaart mit schwäbischer Bodenständigkeit, unprätentiöser Normalität und offener Liebenswürdigkeit. Dass eine Besucherin auf der Kunstmesse Art Karlsruhe ihren Stand besuchte, „weil Sie einen anderen Eindruck machen als die anderen Galeristen“, hat sie besonders gefreut.

 

Die roten Haare hat sie seit Geburt, „zum Entsetzen meines Vaters“, lacht sie. Als Kind habe sie dafür böse Hänseleien aushalten müssen: „Rothaarige werden schon fast als Hexe verteufelt.“ Ihr Styling aber ist das Ergebnis einer Metamorphose und neuen Standortbestimmung in ihrem Leben.

 

Denn Galeristin ist sie erst seit fünf Jahren. „Aber das mache ich nur nebenher“, stapelte sie früher tief. Und der Hauptberuf? „Verlegerin“, kam als Antwort. Und gleich hinterher, um gar nicht erst den Gedanken an anspruchsvolle Literatur aufkommen zu lassen: „Aber nur Telefonbücher! „Ihr Vater Richard Straubinger hatte 1946 den Telefonbuch-Verlag gegründet und setzte, als das Unternehmen florierte und wuchs, große Hoffnungen auf seine einzige Tochter als Nachfolgerin. Aber sie habe „alle möglichen Flöh‘ im Kopf gehabt“, sagt Karin Abt-Straubinger. Und darum ihrem Vater eröffnet, dass sie gar keine Lust auf die Verlagsarbeit habe. Künstlerin wollte sie werden. „Schon der Zeichenlehrer in der Schule hat zur mir gesagt, wenn du Geld hast, musst du Malerin werden.“ Weil Kunst brotlos sei. Schauspielerin, sagt sie, wäre sie auch gern geworden. Oder Journalistin. „Dann habe ich meine Träume doch begraben“: 1963 ist sie in den Verlag eingestiegen, und der Vater wunderte sich über seine „brave“ und tüchtige Tochter. Sie hat geheiratet, den Verlag 1972 mit ihrem Mann Peter Abt übernommen und nach dessen Tod 1989 allein weitergeführt.

 

„Schon mein Vater war sehr an Kunst interessiert und hat Bilder gesammelt“, erzählt sie. Und dann fällt ihr eine Geschichte dazu ein: Sie habe kürzlich ein altes Schulheft mit einem Aufsatz zum Thema „Wie verbringe ich meinen Sonntag?“ gefunden. „Da war ich vielleicht zwölf und habe mich beklagt, dass ich immer in Kunstausstellungen gehen muss.“ Ein Fünkchen muss dabei gelegt worden sein, richtig gezündet hat es erst später. Sie wurde neugierig auf die aktuelle Moderne, lernte junge Künstler kennen, begann, ihre Bilder und Skulpturen zu kaufen und zu sammeln. Ihr Verlagsgebäude an der Sigmaringer Straße verrät diese Passion auf den ersten Blick: An der Klinkerfassade stehen in luftiger Höhe zwei Bronzefiguren, junge Frauen, die miteinander telefonieren. „Ein Objekt von Guido Messer“, erklärt die Galeristin. Zwei Meter hoch. Kunst am Bau, witzig und beziehungsreich.

 

Müssen Bilder nur in Museen hängen oder in teuren Kunstbänden abgebildet werden, hat sich die erfolgreiche Geschäftsfrau gefragt. Kunst gehöre doch zum Leben. Zum Leben der kreativen Verlegerin ganz besonders, der das alleinige Auflisten von Telefonanschlüssen samt dem Akquirieren von Anzeigen irgendwann nicht mehr genügte. „Ich habe sogar die Telefonbücher Korrektur gelesen“, lacht sie.

Wirklich? Wie hält man das aus? „Das haben mich alle gefragt“, nickt sie.

 

Prickelnd war es nicht. Darum wagte sie, mit der Edition Straubinger und einigen unterhaltsamen Titeln einen ersten Seitensprung. Und veranstaltete nicht nur damals schon Ausstellungen in den Verlagsräumen, um junge Maler zu fördern, sondern lud per Wettbewerb auch bekannte Künstler ein mit Bildern zum Thema Kommunikation die Titelseite von Telefonbüchern zu gestalten. So kam es, dass die Ravensburger und Biberacher in den 90er Jahren einen Klaus Staeck, einen Ben Willikens und eine Jeannette Oellers vor Augen hatten, wenn sie Das Örtliche zur Hand nahmen.

 

Vor fünf Jahren hat die Verlegerin ihre Galerie Abt-Art gegründet, den Verlag mittlerweile verkauft und sich „aus Lust an der Verwandlung“ neu erfunden. Und jetzt mit dem neuen Galeriebau für 2,8 Millionen Euro und einer faszinierenden und radikal modernen Architektur einen veritablen Clou gelandet: „Ich hätte mein Geld auch für Reisen und anderen Luxus ausgeben können“, sagt sie an die Adresse eventueller Neider. „Aber ich kann Geld nicht verschwenden, da bin ich Schwäbin durch und durch. Außerdem muss ich jetzt alles doppelt so schnell machen, immerhin werde ich nächstes Jahr 70″, verblüfft sie. Man mag’s, ohne Schmeichelei, kaum glauben.

 

Am 9. und 10. Oktober werden sich die Gäste der ersten Ausstellung hier drängen. Kuratiert hat sie der ehemalige Documenta-Chef Jan Hoet, der die Entstehung der Galerie begleitete. „Jetzt spielen wir in einer anderen Klasse“, ist Karin Abt-Straubinger klar. „Aber bitte keine Schwellenangst! Das ist kein hehrer Kunsttempel“, betont sie, „Kunst soll einfach Freude machen.“